Neuerscheinungen vom 10. März 2021

Einleitung: 

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

der Frühling lädt auch in diesem Jahr zum Spazierengehen ein. Im Frankfurter Grüngürtel kann man dabei den König der Eichhörnchen (im Stadtwald), den Struwwelpeter (in den Schwanheimer Wiesen) oder das legendäre Grüngürteltier (am Alten Flugplatz in Bonames) treffen. Und im Nordpark in Bonames steht Sondermann. Dessen Schöpfer wird im neuen Artikel des Monats vorgestellt.

Artikel des Monats März 2021:
Bekannt durch Sondermann

Er gehört zu den bedeutendsten Vertretern der Komischen Kunst in Deutschland: Bernd Pfarr. Mit dem Lexikon seiner Großeltern und dem Comic-Heft „Fix und Foxi“ als Vorbildern brachte sich der Frankfurter Bub das Zeichnen bei. Im Alter von 14 Jahren veröffentlichte er seine erste Cartoonserie im Blättchen seines Pfadfindervereins. Noch während seines Grafikstudiums an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung begann Pfarr 1978, für die Satirezeitschrift „Pardon“ zu zeichnen. Seitdem kamen seine Cartoons und Zeichnungen in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften heraus. Für das Magazin „Titanic“ erfand er Sondermann, einen äußerlich unscheinbaren Buchhalter, in dessen Leben jedoch lauter Ungeheuerlichkeiten geschehen. Sondermann, der bald beliebt und berühmt wurde, erschien in Serie von 1987 bis zum frühen Tod seines Zeichners 2004.
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Schluss: 

In der Reihe der „Komischen Kunst im Frankfurter Grüngürtel“ wurde Sondermann 2013 das Denkmal in Bonames gesetzt. Weitere Künstler der Neuen Frankfurter Schule, die mit Werken in dieser Reihe vertreten sind, sind etwa F. K. Waechter (der Schöpfer des Eichhörnchenkönigs und dieses Struwwelpeters) und Robert Gernhardt (der Erfinder des Grüngürteltiers), aber auch F. W. Bernstein, Kurt Halbritter und Chlodwig Poth. Artikel über jene der hier genannten Künstler, die noch nicht im Frankfurter Personenlexikon vertreten sind, sind in Vorbereitung.

Jetzt an der Stelle in diesem Editorial kann es keinen gefälligen Übergang geben, nur einen harten Bruch. Für einige der Personen, denen Artikel in der aktuellen Lieferung gewidmet sind, bedeutete die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 eine Zäsur in ihrem Leben. Im „Dritten Reich“ wurden sie wegen ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit, politischen Einstellung oder sexuellen Orientierung ausgegrenzt und verfolgt.

Die Schauspielerin Mathilde Einzig, langjähriges und beliebtes Mitglied der Städtischen Bühnen, sah als Jüdin angesichts der zügigen „Gleichschaltung“ der Frankfurter Theater 1933 keine Perspektive mehr und kündigte „freiwillig“ ihren Vertrag. Sie wanderte mit ihrer Familie über die Schweiz nach Palästina aus, wo sie und ihr Mann ein kleines Hotelrestaurant und eine Hühnerfarm betrieben. Nach dem Krieg kehrte die Schauspielerin nach Frankfurt zurück, zuerst zu einem Gastspiel 1949 in ihrer bekannten Rolle als Frau Funk in dem Lokalstück „Alt-Frankfurt“. 1957 ließ sie sich wieder in ihrer Geburtsstadt Frankfurt nieder, um hier ihren Lebensabend zu verbringen.
Die Hollerith-Locherin Margot Weyel wurde im Februar 1936 von der Gestapo verhaftet. Kurz zuvor war ihr Freund Carl Tesch, der im politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv war, nach Enttarnung seiner Frankfurter Widerstandsgruppe in die Schweiz geflohen. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis verlor Margot Weyel ihre Arbeitsstelle bei der IG Farben. Unter einem Vorwand reiste sie im Herbst 1936 in die Schweiz aus, wo sie und Carl Tesch heirateten. Im Frühjahr 1946 kehrte Margot Tesch mit der inzwischen geborenen ersten Tochter nach Frankfurt zurück, wo ihr Mann bereits seit September 1945 lebte und die Erwachsenenbildung durch Neuorganisation des Frankfurter Bunds für Volksbildung wiederaufbaute. Später engagierte sich Margot Tesch hier in der Kommunalpolitik, u. a. als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung (1964-68).
Die Verkäuferin Henny Schermann wurde 1940 unter ungeklärten Umständen festgenommen und im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Sie hatte sich geweigert, ihrem Vornamen den Zusatz „Sara“ hinzuzufügen, wie es jüdischen Frauen durch die nationalsozialistische Namensänderungsverordnung von 1938 vorgeschrieben war. Bei einer Untersuchung durch den Arzt Friedrich Mennecke, einem „Gutachter“ für die Selektion von KZ-Häftlingen in der „Aktion 14f13“, erhielt Henny Schermann eine herabsetzende „Diagnose“ aufgrund ihrer Homosexualität. Daraufhin wurde sie, vermutlich zwischen Februar und April 1942, in der Tötungsanstalt Bernburg/Saale mit Giftgas ermordet.
Der Jugendliche Friedrich Schafranek wurde zusammen mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder bei der ersten Massendeportation aus Frankfurt am 19. Oktober 1941 in das Ghetto Lodz verschleppt. Dort starben sein Vater infolge von Misshandlungen durch die Gestapo und sein Bruder nach völliger Entkräftung durch Zwangsarbeit. Nach der Auflösung des Ghettos 1944 wurden die Mutter und der mittlerweile 20-jährige Friedrich nach Auschwitz deportiert, wo sie gleich nach der Ankunft getrennt wurden. Erst später erfuhr der Sohn, dass Olga Schafranek durch den SS-Arzt Josef Mengele sofort der Weg in die Gaskammer gewiesen worden war. Friedrich Schafranek kam in eines der berüchtigten Außenlager des KZ Dachau in Kaufering, die von den Häftlingen als „kalte Krematorien“ bezeichnet wurden. Als einziger aus seiner Familie überlebte er die Shoah. Nachdem er sich schon im Lager vom Judentum abgekehrt hatte, konvertierte Friedrich Schafranek 1946 zum Christentum und wurde evangelisch-lutherischer Pfarrer. Seit den 1990er Jahren besuchte er regelmäßig seine Geburtsstadt Frankfurt, um als Zeitzeuge vor Schulkassen und in Vorträgen über den Nationalsozialismus zu sprechen.
Der Rentner Richard Tesch, der bis 1933 als Expedient für die „Volksstimme“ bei der Union-Druckerei und Verlagsanstalt gearbeitet hatte und nach Einstellung der Zeitung durch die Nationalsozialisten zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden war, musste erleben, wie seine Frau Johanna Tesch als ehemalige Reichstagsabgeordnete der SPD am 22. August 1944 durch die Gestapo verhaftet wurde. Bei einer „Sprecherlaubnis“ im Untersuchungsgefängnis Klapperfeld sah sich das Ehepaar am 9. September 1944 zum letzten Mal. Einige Tage später wurde Johanna Tesch in das Konzentrationslager Ravensbrück eingewiesen. Mehrfach versuchte Richard Tesch, seine Frau durch entsprechende Eingaben, schließlich sogar an die „Kanzlei des Führers“, freizubekommen – ohne Erfolg. Johanna Tesch starb im Alter von fast 70 Jahren im März 1945 an Hunger und Entkräftung im KZ Ravensbrück. Erst am 15. Juli 1945 erfuhr Richard Tesch vom Tod seiner Frau. Bis kurz zuvor hatte er noch Briefe an sie geschrieben, die sie bei ihrer Rückkehr lesen sollte, erschütternde Zeitzeugnisse, die in einer kürzlich erschienenen Dokumentation des Briefwechsels von Johanna Tesch nachzulesen sind.

Angesichts solcher abgebrochenen Frankfurter Biographien aus der NS-Zeit erschreckt die Kontinuität vieler Lebensläufe nationalsozialistischer Verantwortungs- und Handlungsträger bis weit in die Nachkriegszeit. Auch davon zeugt der Artikel über Otto Blankenstein, der aber vor allem für ein weitgehend vergessenes Kapitel aus der bundesdeutschen Geschichte der frühen Nachkriegsjahre steht: die Frankfurter Homosexuellenprozesse von 1950/51. Erst seit wenigen Jahren ist das der Aufarbeitung harrende Thema in den Blick der Geschichtsforschung gerückt, und demnächst soll ein Dokumentarfilm über die Frankfurter Homosexuellenprozesse in die Kinos kommen. Im Frankfurter Personenlexikon fasst der Artikel von Raimund Wolfert den aktuellen Forschungsstand zusammen, ausgehend von dem „Strichjungen“ Otto Blankenstein, der damals als Kronzeuge bei der Verfolgungswelle und Prozessserie gegen homosexuelle Männer diente.

Nicht immer kann das Reisen durch die Zeiten ein Spaziergang sein. Aber es ist notwendig, dass wir die Mühen auf uns nehmen.
Principiis obsta.

Mit besten Frühlingsgrüßen
Sabine Hock
Chefredakteurin des Frankfurter Personenlexikons

P. S. Die nächste Artikellieferung erscheint am 10. April 2021.